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Post vom Anwalt
Es muss ja nicht immer eine Abmahnung sein, wenn dir eine Anwaltskanzlei einen Brief schickt.
Per Post kommen fast nur noch Spendenaufrufe, gelegentlich noch etwas von der Bank, der Gemeindeverwaltung oder einer Versicherung. Um so aufregender ist da die Entdeckung eines dicken Couverts mit dem Absender: "XYZ Rechtsanwälte".
«Um Himmels Willen: Hat mich jemand verklagt? Was habe ich denn angestellt? Ist es eine Abmahnung wegen irgendeines Formfehlers auf meiner Website?» Mit leicht mulmigem Gefühl öffne ich das Couvert: es ist ein Brief der Anwälte, die den Nachlass eines verstorbenen Verwandten betreuen und mir mitteilen, dass ich, bevor dessen Wohnung aufgelöst wird, eines seiner selbst gemalten Bilder aussuchen dürfe. Anbei die Liste der «Werke» und ein Formular, das ich ausfüllen und per Post retournieren möge.
Da die Anwälte auf dem Briefkopf eine E-Mailadresse angeben, kontaktiere ich sie auf diesem Wege und bitte um Zusendung von Fotos der hinterlassenen Gemälde. Und tatsächlich, nach zwei Wochen kommen die Ablichtungen. Insgesamt 32 Stück, aufgeteilt auf 16 Mails, jedes mit zwei nahezu unkomprimierten Bilddateien im Format JPG.
Nun gut. Ich lade die Bilder eins ums andere herunter und sehe sie mir an. Die meisten davon sagen mir nichts, doch eines ist sehr hübsch; es zeigt das Haus der Urgrosseltern, in dem ich ich als Kind öfters einige Ferientage verbracht hatte.
Meine Antwort an die Anwälte, dass ich mich für Bild Nummer 17 entschieden hätte, wirkt offenbar als Trigger: Ab jetzt bin ich auf dem Verteiler der Erbengemeinschaft. Und das heisst: Ich erhalte nun jede Kommunikation und muss prüfen, ob sie mich betrifft oder nicht. Das wäre an sich nicht so schlimm, doch die Damen und Herren Anwälte kommunizieren nicht einfach via Mail, sondern per Brief, der als PDF an das E-Mail angehängt wird. Im Mail steht nur: "Bitte lesen Sie den beigefügten Text." Steht da auch noch "und die zugehörigen Dokumente" kann es sein, dass ich durch ein ellenlages Dokument scrollen muss, um am Ende die eine Zeile zu finden, die mich etwas angeht. Das ist allerdings nicht immer ganz einfach, denn einige der versandten Dokumente sind offensichtlich nicht als PDF gespeichert, sondern aus der Papiervorlage so eingescannt worden, dass etliche Seiten auf dem Kopf stehen.
Fax 2.0: Dokument ausdrucken, einscannen und als PDF verschicken.
Ich erinnere mich an eine Anwaltskommunikation, die mir vor Jahren zu einem ansehnlichen, wenn auch nicht gerade leicht verdienten Honorar verholfen hatte: Ein Kunde war von einer Firma verklagt worden, die behauptete, seine Produkte verstiessen gegen das Urheber- oder Markenschutzrecht oder was auch immer. Das Problem, weswegen der Kunde sich an mich wandte, war: Der Anwalt der klagenden Firma hatte eine Liste aller seiner Meinung nach fehlbaren URLs im Produktkatalogs meines Kunden erstellt und seinem Mail als PDF angehängt. Und dieses PDF erwies sich als Monster: Es waren 630 URLs, die beanstandet wurden und einzeln überprüft werden sollten. Allerdings hatte mein Kunde gar nicht so viele Produkte, sondern jedes seiner Produkte war über 3 URLs zugänglich, was die Zahl der zu überprüfenden Produktseiten auf 210 reduzierte. Hätte der gegnerische Anwalt seine Liste als Excel geschickt, hätte man diese Reduktion mit einem einfachen Filter in einer Minute erreicht, so aber mussten zunächst alle URLs aus dem PDF extrahiert werden. Auch das wäre relativ rasch vonstatten gegangen, hätte man die Liste aus Excel als PDF gespeichert, doch, wie sich zeigte, hatte man die Liste zunächst auf Papier ausgedruckt und dann wieder eingescannt.
Für mich bedeutete das: die PDF-Datei musste mit einem OCR-Programm in Text konvertiert werden, dann musste, da OCR relativ fehleranfällig ist, jede URL überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Am Ende dieses aufwändigen Prozesses stand dann die Excel-Liste, die der Anwalt hätte schicken können. Mein wenig erfreuter Kunde meinte: Die machen das absichtlich, um mir unnötige Kosten aufs Auge zu drücken. Doch da war ich mir nicht so sicher. Nach meinem Dafürhalten war man auf dem Weg der Digitalisierung zwar schon einen oder zwei Schritte gagangen und hatte die Kommunikation per Fax durch E-Mail abgelöst, aber der Unterschied zwischen einem Text auf Papier und einer maschinenlesbaren Datei war noch nicht erkannt und die Vorstellung, dass sich in einer maschinengerechten Kommunikation vieles vereinfachen und automatisieren lisse, noch ziemlich fremd.
Was ich, ausser einem hübschen Wandschmuck, aus der Korrespondenz mit den Anwälten mitnehme: Ich sollte mir überlegen, ob ich nicht einen Kurs in elektronischer Kommunikation speziell für Anwälte und ihre Büroangestellten anbieten will. Das könnte ganz einträglich sein.